Wie am Tag zuvor, beginnt diese Etappe zunächst mit einer Erkundung der Straßen rund um den Startort. Genau gesagt rollt das Teilnehmerfeld noch einmal zurück und hinab in Richtung Valtellina, aber nicht bis nach Tirano ganz unten, nur bis von der Hauptstraße der Weg zum Passo di S. Cristina abzweigt. Das ist die erste Prüfung des Tages über 650 Höhenmeter bergauf. Der Pass bietet die richtige Dosis, um die Beine auf Betriebstemperatur zu bringen, hilft aber auch dabei, das Feld für die folgende Abfahrt nach Edolo drüben im Valcamonica in die Länge zu ziehen. Diese erste Abfahrt beginnt dann zunächst auf der Strecke des Vortages über den Pian di Gembro bis kurz vor Aprica. Aber es geht nicht mehr nach Aprica hinein, sondern diesmal bergab bis in Corteno Golgi die Hauptstraße verlassen wird. Nach der folgenden kurzen, aber anspruchsvollen Abfahrt auf der Nebenstraße ist schließlich Edolo am Ufer des Flusses Adda erreicht. Jetzt noch ein Paar Kilometer auf der Staatsstraße am Fluss entlang und schon markieren die Ortsschilder von Malonno das Ende der Abfahrt und den Beginn der Kletterpartie hinauf zum Vivione.
Der Passo del Vivione gehört zu den aufregenden Neuentdeckungen der TOUR Transalp. Erst 2022 gravierte sich diese außergewöhnliche Straße in die Legendentafel der Transalp ein und erbrachte den Beweis, dass auch nach 20 Jahren Historie und zigtausend Alpen-Kilometern auf dem Rennrad, noch Bergstraßen der obersten Kategorie zu entdecken sind. Ein schmales, unscheinbares Asphaltband sticht da vom Valcamonica die Bergamasker Alpen an und dringt vor ins Hinterland, dessen Bewohner das Wort „Stress“ aus dem Duden verbannt haben. Wären da zur Transalp nicht die Pfeile aufgehängt, manch einer würde sich fragen, ob es da hinten wirklich weitergeht. Aber ja, es geht weiter hinauf und vom Pass inmitten saftiger Almwiesen hinab nach Schilpario im Valle di Scalve. Die Abfahrt auf dem weiterhin schmalen Sträßchen zwingt zur Konzentration, sie fordert Respekt, vermag aber guten Abfahrern auch ein Grinsen zu entlocken. Der Vivione ist der heimliche Star der 2025er Ausgabe – sportlich und landschaftlich muss er sich nicht vor den prominenteren Alpenpässen verstecken.
In Schilpario beginnt wieder die Zivilisation, aber auch auf der Straße hinüber nach Azzone, die jetzt flach am Hang klebt, lässt die Hektik auf sich warten. Nicht nur deshalb lohnt sich die kleine Umleitung abseits der Hauptstraße unten am Fluss. Es lohnt sich, jetzt den Talgrund zu verlassen, weil auch die spätere Abfahrt von Azzone hinab nach Dezzo auf der ruhigen und gut ausgebauten „Provinciale“ ein Genuss ist. Wieder am Fluss angelangt, vermag der auch diesmal keine Anziehung aufzubauen. Sofort sucht sich eine weitere Seitenstraße am Hang entlang den Weg aus dem Tal hinaus und schafft es nun im zweiten Versuch, seinem Lauf ganz zu entkommen. Und zwar am Croce di Salven, einem sanften Übergang in weiten Almwiesen, der die Grenze zwischen dem beschaulichen Valle di Scalve und dem lebendigen Valcamonica markiert. Mit diesem großen Tal im Blick werden auch die Orte bedeutender und man nimmt auf der Straße über die Gemeinden Borno und Ossimo langsam Fahrt auf, um den Schwung mitzunehmen für ein paar spaßige, runde Kurven auf gut ausgebauten Straßen bis hinab nach Malegno. Jetzt ist der Szenewechsel zu hundert Prozent vollzogen, hier rumpelt die Eisenbahn und surrt die Schnellstraße, hier unten ist Leben. Und zu leben lohnt es sich auch in unserem neuen Etappenort Darfo Boario Terme, etwas weiter südlich gelegen. Immerhin lockt da der Kurpark und die Therme und es ist nicht die schlechteste Idee, nach der Etappe stilvoll Entspannung zu suchen. Und bei einem Wohlfühl-Bad diesen wildromantischen Tag in den Bergamasker Alpen Revue passieren zu lassen.